Tagung:
Titel: „Ursprungskonstellationen und Urszenen von Wissenschaftlerbiographien“
Zeit und Ort: 27.-28. Mai 2022, Goethe Universität Frankfurt/Main
Veranstalter: DFG-Projekt „Ursprungskonstellationen, Gründungsnarrative und Urszenen von Wissenschaftlerbiographien. Eine fallrekonstruktive Vergleichsstudie zu frühen Bildungsprozessen einer Disposition für den Forscherberuf auf der Basis biographischer Interviews und Gruppendiskussionen.“
PD Dr. Andreas Franzmann
Institut für Pädagogische Diagnostik IPD, Siegburg
Auf den Tongruben 3
53721 Siegburg
Call for Papers:
Seit langem versteht die Bildungsforschung das akademisch-universitäre Studium als Ort, in dem
Novizinnen und Novizen einer wissenschaftlichen Disziplin in eine Berufsrolle und Fachidentität
einsozialisiert werden. Hier erlernen sie als Studierende das nötige Fachwissen, Arbeitsweisen und
Methoden, wachsen in den sozialen Kosmos eines Fachs hinein, und lernen seine Diskurse und
Karrierewege kennen. Über Studienordnungen bis zum Doktorat werden die dafür nötigen Lern- und
Bildungsprozesse curricular gesteuert, mit strukturierten Freiheitsgraden, die eine Wahl von
Schwerpunkten und spezialisierten Bildungspfaden bereits eröffnet. Danach, in der innovativen
Postdoc-Phase, entscheiden Wissenschaftler/innen mehr oder weniger selber über ihre
Forschungsthemen. Dabei ist der Erfolg des universitären Wegs in die Wissenschaften nicht zuletzt
davon abhängig, ob Studierende tatsächlich in ein Fach und seine Diskurswelt persönlich
hineinwachsen. Sie müssen sich mit den Arbeits- und Denkweisen einer Disziplin nach außen
identifizieren können und nach innen für das „Schicksal“ einer Fragestellung, eines Themas oder
einer Argumentation allmählich habituell verantwortlich fühlen. Das wird spätestens mit dem
Doktorat verlangt. Nur wenn ihnen dies gelingt, bauen Forscher/innen innerhalb ihres Faches eine
eigene Positionalität auf, lernen sie ihre eigenen Fragen und Forschungsansätze in einer
kompetitiven Fachwelt argumentativ zu behaupten, und können sie den vielen sozialen Widrigkeiten
und Unwägbarkeiten der Wissenschaftslaufbahn einen eigenen berufsbiographischen Lebensentwurf
entgegensetzen. Eine solche Verwurzelung im eigenen Fach ergibt sich wohl auch daraus, dass viele
Wissenschaftler/innen ihrem Beruf aus intrinsischen Motivationen heraus nachgehen. Und zu diesen
intrinsischen Motiven zählt ein Interesse am Forschen selbst, eine Lust am Rätsellösen, Nüsse-
Knacken, Problemlösen, am Erkunden von Unbekanntem, ein Antrieb, bei den ersten dabei sein zu
wollen, die etwas Neues entdecken.
Doch wie finden Novizinnen und Novizen von Forschungsdisziplinen eigentlich in eine solche
Disposition für das Forschen hinein? Wie entwickelt sich in ihrem Leben ein Bildungspfad, der
forscherische Aktivitäten unterstützt und verstetigt? Und wo liegen seine Anfänge, bzw. wie weit
lassen sie sich biographisch zurückverfolgen?
Wir interessieren uns dafür, wie sich biographisch eine persönliche Neigung zu bestimmten
Forschungsgegenständen, Rätseln, Objektwelten und methodischen Ansätzen allmählich
herausbildet. Ein möglicher Ansatz zur Untersuchung solcher Fragen sind Biographien von
Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen. In vielen Fällen dürften die dafür interessierenden
Bildungsprozesse bereits vor der Aufnahme des eigentlichen universitären Studiums begonnen
haben. Die Wahl von Leistungskursen in der gymnasialen Oberstufe bereiten sie ebenso oft vor, wie
außerschulische Aktivitäten. Aus autobiographischen Texten oder Interviews wissen wir, dass viele
Wissenschaftler/innen solche außerschulischen Aktivitäten eines Forschens früh entfaltet hatten:
Aktivitäten eines explorativen Sammelns und Präparierens von Insekten, von Gesteinen und
Mineralien, regelmäßiges Graben nach Fossilien oder historischen Fundstücken, Aktivitäten im
Freundeskreis mit einem Teleskop oder mikroskopischen Instrumenten, frühe erlebnishafte Reisen in
eine fremde Region der Erde. Wissenschaftler/innen berichten von einer frühen Faszination für
Objekte und ihre Erkundung, ohne dass sie dies selbst immer rational erklären könnten. Sie haben
sich gerne mit etwas beschäftigt, fühlten sich von bestimmten Dingen angezogen, haben bestimmte
Tätigkeiten immer wieder gerne ausgeführt. Es sind Gegebenheiten ihres Lebens. Und diese
Aktivitäten setzten einerseits wohl das kindliche explorative Verhalten fort, fokussierten es aber auch
und bereiteten so andererseits eine habituelle Disposition für den späteren Forscherberuf vor, weil
diese Aktivitäten viel mit Erschließen und Erkunden, mit der noch gar nicht beruflich intendierten
Einübung in Methoden und Techniken des Forschens zu tun haben.
Autobiographische Narrative, in denen sich Schilderungen solcher frühen Aktivitäten des Forschens
finden, sind bislang wenig mit Blick auf diese Fragen untersucht. Wir interessieren uns für diese
biographischen Narrative und was sie ausdrücken. Was waren die ersten Themen und Gegenstände
in einer wissenschaftlichen Bildungsgeschichte, an denen sich ein/e Wissenschaftler/in ihr späteres
Fach oder Thema exemplarisch erschlossen hatte? War es ein Objekt, ein Erlebnis, eine theoretische
These? Wie wird die Faszination nachträglich erklärt? Gibt es Merkmale in diesen Berichten, die sich
strukturell mit den Biographien anderer Wissenschaftler/innen vergleichen lassen? Welche Rolle
spielten sozialisatorische Prozesse, Elternhaus, Lehrer/innen oder andere Mentoren, die Peer Group?
Lassen sich in den biographischen Konstellationen typische Merkmale rekonstruieren, die einen
Lebensweg in die Wissenschaften begünstigen? Wir interessieren uns also für Fragen, die in den
offiziellen akademischen Lebensläufen eher ausgespart bleiben und auch im Genre der
Wissenschaftlerbiographie oft unterbelichtet sind, schon deshalb, weil die Quellenlage meist keine
Aussagen dazu zulässt, mit welchen Themen und Gegenständen sich ein späterer Wissenschaftler
bereits in seiner Kindheit und Jugend befasste.
Umso wertvoller sind Quellen aus autobiographischen Interviews, aus der Oral History, Beiträge aus
Biographieforschung und Wissenschaftsgeschichte. Wir erhoffen uns Studien zu Forscher/innen aus
verschiedenen Wissenschaftszweigen, auch weil der Vergleich auf interessante Gemeinsamkeiten
zwischen ansonsten fremden Wissenschaftszweigen verweisen könnte. Willkommen sind sowohl
Beiträge zu den Naturwissenschaften, als auch zu den Geistes-, Kultur- und Sozialwissenschaften, die
sich in einer verstehenden und rekonstruktiven Perspektive mit den Lebenswegen von
Wissenschaftler/innen befassen.
Vorschläge mögen bitte bis zum 30. November 2021 an die Email-Adresse .
de eingesendet werden. Für Rückfragen oder Auskünfte können Sie sich gerne unter
derselben Adresse an PD Dr. Andreas Franzmann richten.
Die Tagung findet am 27.-28. Mai 2022 an der Universität Frankfurt statt.
Hinweis zu Corona-Pandemie: Die Tagung ist als Präsenzveranstaltung geplant. Tagesaktuelle Hygiene-
Vorschriften werden beachtet. Tagungsbeiträge und Teilnahme werden auch via elektronische
Videoplattformen (ZOOM) möglich sein.