von Sascha Liebermann
Manfred Jöbgen, Gründer der „Erziehungshilfe gGmbH –Institut für pädagogische Diagnostik“ ist im vergangenen Juni verstorben.
Er war Erzieher, Sozialarbeiter, Pädagoge und ist noch in fortgeschrittenem Alter für eine Dissertationsschrift an der Universität Siegen promoviert worden. Sie befasste sich mit dem Thema, mit dem er sich schon viele Jahre beschäftigt hatte: der Rekonstruktion biographischer Konstellationen von Jugendlichen, die in der Obhut bzw. unter Aufsicht des Jugendamtes waren. Darin kamen das narrative Interview als Erhebungstechnik und die Verfahren der Objektiven Hermeneutik für die Auswertung zum Einsatz. Jöbgen war ebenso und vielleicht noch mehr ein „Macher“ – ideenreich, beharrlich, immer auf der Suche nach Möglichkeiten, wie die Diagnostik im Feld der Erziehungshilfe verbessert und damit Kindern und Jugendlichen geholfen werden konnte, die keine guten Ausgangsbedingungen in ihrem Leben hatten. Pflegefamilien, deren Bedingungen er im Vergleich zu Heimen als wesentlich vorteilhafter ansah, sollten aufgrund ihrer wichtigen, aber leicht auch überfordernden Aufgabe supervidiert werden. Pflegeeltern sollten fachlich geschult sein, es sollte eine kontinuierliche Beratung geben, die Jöbgen gemeinsam mit Mitarbeitern selbst durchführte.
Wir kannten uns aus einer einige Jahre währenden intensiven Zusammenarbeit, die sich aus dem Anliegen ergab, Gutachten im Auftrag von Jugendämtern zu erstellen, mit deren Hilfe Maßnahmen vorbereitet bzw. evaluiert werden sollten. Zustande gekommen war diese Zusammenarbeit aufgrund seines – und seines damaligen Kollegen Norbert Höpfners – Interesses an der Objektiven Hermeneutik. Sie waren davon überzeugt, dass die Objektive Hermeneutik mir ihren Verfahren besonders geeignet war, um im Sinne einer pädagogischen Diagnostik Fallkonstellationen zu rekonstruieren, die Genese der konkreten Problemlage zu bestimmen und Interventionsempfehlungen dadurch besser eingrenzen zu können. Jöbgen bemühte sich um etwas, das unter denjenigen, die sich der Objektiven Hermeneutik bedienten, stets als Frage virulent war, und zwar, wie sie wohl in praktischen Zusammenhängen zum Einsatz kommen könnte. Eindrücklich waren die Erfahrungen für mich, die ich durch die gemeinsame Präsentation der Gutachten vor Sozialarbeitern machen durfte. Überraschend, wie ein soziologisches, in und für die Forschung entwickeltes Verfahren doch durchaus praktisch hilfreich sein konnte – wenn auch in abgekürzter Form und fallbezogen. Sozialarbeiter, vor denen wir die Ergebnisse präsentierten, staunten nicht selten darüber, dass es für jemanden, der die Jugendlichen nur aus Interviewverschriftungen, testierbaren Daten und weiteren Dokumenttypen kannte, möglich war, solch konkrete Einsichten zu erlangen, die dann auch praktisch genutzt werden konnten. Manfred Jöbgen war unermüdlich im Einsatz dafür, Auftraggeber für diese Vorgehensweise zu gewinnen, Jugendämter zu überzeugen, dass dies ein sinnvoller Weg war, der weiter führte, als die bislang beschrittenen. Berufen konnte er sich dabei auf seine eigenen Erfahrungen als Erzieher und Sozialpädagoge, mit den Jugendämtern und mit der leider nicht selten viel zu spät zu Rate gezogenen pädagogischen Diagnostik.
Nicht nur im Feld der Erziehungs- und Jugendhilfe war er sehr engagiert, er suchte den Kontakt zu Schulen und hatte Ideen, was dort anders gemacht werden könnte. Wo er selbst nicht wirken konnte oder wollte, zog er andere hinzu, die bereit und in der Lage waren, das zu übernehmen. So erweiterte sich unter anderem der Kreis derer, die in der Objektiven Hermeneutik erfahren sind und für das Institut tätig werden konnten und noch tätig sind.
Weil die Mittel in der Kinder- und Jugendhilfe knapp waren und knapper wurden, gründete die Erziehungshilfe gGmbH Wirtschaftsbetriebe, deren Einnahmen ihrer gemeinnützigen Arbeit zugutekommen sollten. Manfred Jöbgen war findig und ließ sich nicht beirren, er war aber zugleich realistisch und wo die Bedingungen für seine Anliegen zu ungünstig waren, verfolgte er sie nicht weiter.
Allen, die Manfred Jöbgen kannten, bleibt sein unermüdlicher Einsatz für sein Anliegen lebhaft in Erinnerung. Ein Verzagen kannte er nicht, es gab immer Möglichkeiten. Durch seine Aktivitäten hat er einen wichtigen Beitrag zur Verbreitung der Objektiven Hermeneutik in der Praxis geleistet.